Es ist der 1. Mai 2022. Ich stehe nervös am Rednerpult und halte mein aller erstes Votum an einer Landsgemeinde. Im Namen der Jungen Grünen setze ich mich für die Einführung verkehrsberuhigter Sonntage im Klöntal, die “Slow Sundays”, ein. Den Memorialsantrag hatten wir Jungen Grünen zwei Jahre zuvor, gemeinsam mit den Grünen, eingereicht.
Auf mein Votum folgen Ablehnungsanträge, unterstützende Reden, mehrere Änderungsanträge. Mit den anderen anwesenden Mitgliedern der Jungen Grünen ringe ich um eine Lösung. Wir entscheiden uns - gutschweizerisch, gutglarnerisch - für den auf dem Ring gefundenen Kompromiss.
Als der Entscheid bei der Schlussabstimmung fällt, wird dieser Tag zum Highlight meiner bis dahin noch sehr jungen Politkarriere. Folgendes wurde im Wortlaut an der Landsgemeinde 2022 entschieden:
“Es werden gesetzliche Grundlagen mit wirksamen Massnahmen geschaffen, um das Klöntal an einzelnen Sonntagen [...] vom motorisierten Individualverkehr von morgens bis abends talein- und talauswärts bis auf notwendige Ausnahmen frei zu halten und so die Erholungsqualität effektiv zu verbessern.”
Dieser Landsgemeindeentscheid war eine kleine Sensation und wurde in der ganzen Schweiz wahrgenommen. Auch der Kanton Glarus wirbt in seinem neu produzierten Imagefilm anhand des Beispiels “Slow Sundays” für die direktdemokratischen Mitgestaltungsmöglichkeiten an der Landsgemeinde. In keinem anderen Kanton ist die direkte Demokratie so umfassend ausgestaltet, wie im Kanton Glarus. Und schon gar nicht für Jungpolitiker*innen ab 16 Jahren.
Jetzt ist Oktober 2024, der Regierungsrat hat nach über zwei Jahren einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung des Landsgemeindeentscheides in den Landrat geschickt. Dieser ist öffentlich einsehbar und hat bei mir vor allem eins hinterlassen: Fragezeichen. Gerade viel ist von “slow” und “Klöntal” nämlich nicht mehr übrig.
Unter “Klöntal” wurde - jeder Intuition und allen massgebenden Karten zum Trotz - nicht das Klöntal, sondern lediglich die Klöntalerstrasse und die Hälfte der Sackbergstrasse ab der Schwammhöhe verstanden. Im Resultat führt das dazu, dass gerade jener Strassenabschnitt der Sackbergstrasse von der Regelung ausgenommen bleibt, der zum Flow Trail führt. Also genau da, wo eigentlich besonders attraktive Infrastruktur für den Langsamverkehr bestehen würde, soll die Regelung nicht gelten.
Auch “slow” sind die Slow Sundays nicht mehr wirklich. Der Wortlaut, den das glarner Stimmvolk beschlossen hatte, beinhaltete “notwendige Ausnahmen”. Übrig geblieben sind jedoch nur noch “begründete Ausnahmen”. Die “Notwendigkeit” ist irgendwo untergegangen. Man muss nicht gerade kreativ sein, um sich vorstellen zu können, wie “slow” die Sundays mit “begründeten Ausnahmen” wirklich noch sein werden.
Wie viel so vom Volks-Ja zu Slow Sundays noch übrig bleibt, ist höchst fraglich. Im Sinne der an der Landsgemeinde gefundenen Kompromisslösung ist das jedenfalls nicht. Ich hoffe sehr, dass die Vorlage noch eine entsprechende Korrektur im Landrat oder an der Landsgemeinde erhält.